Gerichtsverfassungs- und Verfahrensrecht

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Gerichtsverfassungsgesetz

Begriff

  • Gesamtheit der Regeln, die für die Einrichtung und die Tätigkeit der Gerichte maßgeblich und charakteristisch sind
  • GVR regelt grundlegende, einheitliche Vorschriften in Zivil-/Straf-/Familienprozessen
  • Abgrenzung zum Verfahrensrecht: GVR regelt die Grundsatzentscheidungen in ihrer Bedeutung für die gesamte Rechtspflege. Das Verfahrensrecht, etwa die ZPO, regelt en Ablauf des konkreten Verfahrens im Einzelnen

Bedeutung

Zivilgerichte

  • schützen die subjektiven Rechte des Einzelnen
  • dienen der Bewährung der objektiven Rechtsordnung
  • lösen die private Konflikte der Parteien und sichern Rechtsfrieden
  • dienen der Rechtssicherheit: durch Entscheidungen wird klar, wie Gesetze auszulegen sind

Strafgerichte

  • Herstellung und Sicherung der Rechtsstaatlichkeit

Rechtsquellen

Einfachgesetzliche Rechtsquellen

  • GVR ist das Fundament, auf dem GVG, ZPO, FamFG und StPO aufbauen, z.B.
    • Gerichtsorganisation (§§ 22 ff. GVG)
    • Geschäftsverteilung innerhalb des Gerichts (§§ 21e ff. GVG)
    • richterliche Unabhängigkeit (§ 1 GVG)
    • deutsches Richtergesetz, Richtergesetze der Länder
    • Rechtspflegergesetz
    • Europäische Menschenrechtskonvention

Verfassungsrechtliche Grundlagen des GVR

  • Art. 97 I GG: sachliche Unabhängigkeit
  • Art. 103 I GG: Anspruch auf rechtliches Gehör
  • Art. 101 I 2 GG: Recht auf gesetzlichen Richter (Geschäftsverteilungsplan)

EU-rechtlich

  • Art. 47 der europäischen Grundrechtecharta
  • Art. 6 EUV, i.V.m. Art. 6 EMRK: Recht auf ein faires Verfahren
  • Art. 19 III b EUV i.V.m. Art. 267 AEUV
  • Brüssel Ia-Verordnung

Völkerrechtlich

  • EMRK, insbesondere Art. 6 und 13

Organisation der Gerichtsbarkeit in Deutschland

Exterritorialität, Exemption, Immunität

  • deutsche Gerichtsbarkeit/Gerichtshoheit: auf der staatlichen Macht beruhendes Recht, grds. über alle auf dem Staatsgebiet befindlichen Personen die Gerichtsbarkeit auszuüben (Territorialitätsprinzip)
    • echte Prozessvoraussetzung
  • Ausnahmen (§§ 18, 19 GVG)
    • Exterritorialität: aufgrund einer bestimmten Örtlichkeit (z.B. Botschaften, Schiffe, Staatsflugzeuge)
    • Exemption: Personen wegen einer bestimmten Rechtsstellung (z.B. Diplomaten), solange sie in Deutschland leben (und nicht im Zivilprozess selbst geklagt haben)
    • Immunität: Schutz eines Staates vor der Gerichtsbarkeit eines anderen Staates (alle Staaten sind gleichrangig)

Rechtswege (Art. 95 I GG)

Ordentliche Gerichtsbarkeit (§ 13 GVG): Zivil-, Familien- und Strafgerichtsbarkeit (Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit)

  • Abgrenzung bürgerlicher zu öffentlich-rechtlicher Streitigkeiten (§ 13 GVG und § 40 I 1 VwGO)
    • Interessentheorie: dem öffentlichen Interesse dienenden Rechtssätze gehören dem öffentlichen Recht und dem Individualinteresse dienenden Rechtssätze dem Privatrecht an (Problem: eine Vielzahl von öffentlich-rechtlichen Vorschriften bezwecken nicht nur den Schutz des Allgemein-, sondern zugleich auch des Einzelinteresses)
    • Subordinationstheorie: Rechtssätze, die das Verhalten von Hoheitsträgern regeln, sind öffentlich-rechtlich, wenn sie ein Über-/Unterordnungsverhältnis betreffen (Problem: das öffentliche Recht kennt auch Gleichordnungsverhältnisse und im Privatrecht sind auch Subordinationsverhältnisse anzutreffen)
    • modifizierte Subjektstheorie: entscheidend, ob der betreffende Rechtssatz für jedermann gilt oder vielmehr ausschließlich ein Sonderrecht des Staates begründet: eine Rechtsnorm ist nur dann öffentlich-rechtlich, wenn sie einen Hoheitsträger als solchen berechtigt bzw. verpflichtet (Problem: Zirkelschluss, wenn die Theorie den Begriff "öffentliches Recht" der Sache nach durch den des "Hoheitsträgers" erklärt, die Ausübung hoheitlicher Gewalt aber gerade von der Einordnung als öffentlich-rechtlich abhängt)
    • Rechtspraxis: Anwendung der drei Abgrenzungstheorien nebeneinander

Verwaltungsgerichtsbarkeit (§§ 17a II, 17 II GVG und § 40 VwGO)

  • verfassungsrechtliche Streitigkeit: wenn zwei unmittelbar am Verfassungsleben beteiligte Verfassungsorgane unmittelbar über spezifisches Verfassungsrecht streiten (doppelte Verfassungsunmittelbarkeit)
  • Was gilt, wenn eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit versehentlich beim Landgericht anhängig gemacht wurde?
    • LG kann diese auch ohne Antrag des Klägers an das zuständige Verwaltungsgericht verweisen (§ 17a II 1 GVG)
    • Verwaltungsgericht kann dann nicht mehr zurückverweisen (§ 17a II 3 GVG), aber: keine sachliche und örtliche Bindung der Zuständigkeit (das verweisende Gericht bleibt die Möglichkeit der Weiterverweisung, s. § 281 ZPO im Zivilprozess)
    • Verwaltungsgericht kann stattdessen den Beklagten auch aufgrund bürgerlich-rechtlicher Vorschriften verurteilen (§ 17 II 1 GVG)
    • verurteilter Beklagter kann seine Berufung/Revision nicht darauf stützen, dass das Landgericht zuständig gewesen sei (§ 17a V GVG)
    • Es ändert sich nichts, wenn eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit versehentlich beim Verwaltungsgericht anhängig gemacht wurde (da § 173 S. 1 VwGO auf die §§ 17, 17a GVG verweist)

Arbeitsgerichtsbarkeit (§§ 2 ff. ArbGG)

Sozialgerichtsbarkeit (§ 51 SGG)

Finanzgerichtsbarkeit (§ 33 FGO)

Berufs-/Disziplinargerichtsbarkeit

  • Berufsgerichtsbarkeiten (Ahnen von Verstößen der jeweiligen Berufsangehörigen gegen Pflichten des Berufsstandes durch berufsinterne Sanktionen = Selbstreinigung im Interesse der Integrität und Vertrauenswürdigkeit)
    • bundesrechtlich: Anwälte, Steuerberater, Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfer
    • landesrechtlich: Ärzte, Zahnärzte, psychologische Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendpsychotherapeuten, Tierärzte, Apotheker, Architekten, Ingenieure
  • Disziplinargerichtsbarkeiten (besondere Gerichte zur Ahnung von Dienstvergehen)
    • Beamte, Richter, Notare, Soldaten

kirchliche Gerichtsbarkeit (Weimarer Reichsverfassung: Kirchen dürfen ihre Angelegenheiten selbst regeln)

Internationale Zuständigkeit der Zivilgerichte

  • dürfen Deutsche Gerichte über einen Sachverhalt mit Auslandsbezug entscheiden?
  • Brüssel Ia Verordnung: gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen

Sachliche Zuständigkeit (§ 1 ZPO i.V.m. §§ 23, 71, 118, 119 III GVG)

Örtliche Zuständigkeit (§§ 12 ff. ZPO)

Gerichtsstand

  • allgemeiner Gerichtsstand (§§ 12, 13 ZPO)
  • ausschließlicher Gerichtsstand
  • zusätzliche besondere Gerichtsstände: z.B. § 33 ZPO
  • kann vereinbart werden (§§ 38, 40 ZPO)
  • rügelose Einlassung (§§ 504, 39 ZPO)
  • funktionelle Zuständigkeit: verteilt die Rechtspflegeaufgaben in einem Rechtsstreit auf verschiedene Rechtspflegeorgane innerhalb einer Instanz oder auf verschiedene Instanzen

Geschäftsverteilungsplan (§ 21e GVG)

  • Präzisierung von Art. 103 I 2 GG
  • wird nach § 21e I 1 GVG von dem nach den §§ 21a-21d GVG gewählten Präsidium beschlossen
  • Anforderungen
    • Abstraktionsprinzip: Sachen müssen nach allgemeinen, abstrakten Merkmalen wie etwa dem Sachgebiet, der alphabetischen Einordnung des Beklagtennamens, dem Zeitpunkt des Eingangs bei Gericht usw. verteilt werden
    • Bestimmtheitsgrundsatz: Die Regelungen müssen klar und eindeutig sein, Art. 101 I 2 GG
    • Jährlichkeitsprinzip: beansprucht für das ganze Jahr Geltung (§ 21e I 2 GVG)
    • Vorauswirkungsprinzip: muss am Ende des Jahres für das kommende Geschäftsjahr beschlossen werden (§ 21e I 2 GVG)
    • Stetigkeitsprinzip: ist in seinem Geltungszeitraum grundsätzlich unabänderlich (§ 21e III 1 GVG)
    • Vollständigkeitsprinzip: alle Sachen müssen unter allen Richtern verteilt werden (Art. 101 I 2, Art. 97 II GG)

Bundesverfassungsgericht

  • Zusammensetzung (Art. 94 GG, §§ 2 ff. BVerfGG)
  • prüft nur aus dem verfassungsrechtlichen Blickwinkel
  • Verfahrensarten

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)

  • Gerichtshof auf Grundlage der EMRK (alle Staaten außer Vatikanstaat und Weißrussland sind Mitglied)

Klausurvorbereitung

Gerichtsverfassungsrecht /Rechtsquellen
  • Gesamtheit der Regeln, die für die Einrichtung und die Tätigkeit der Gerichte maßgeblich und charakteristisch sind
  • Gerichtsverfassungsgesetz (GVG)
  • Zivilprozessordnung (ZPO)
  • Grundgesetz (GG)
  • Vertrag über die Europäische Union (EUV, vgl. Art 47 EUV)
  • Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV, vgl. Art. 267 AEUV)
  • Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK, vgl. Art. 6, 13 EMRK)
  • deutsches Richtergesetz
  • Richtergesetze der Länder
  • Rechtspflegergesetz
  • ArbGG, VwGO, SGG und FGO
GVR als Fundament, auf dem ZPO, FamFG und StPO aufbauten
Das weitgehend im GVG geregelte Gerichtsverfassungsrecht trifft Aussagen etwa über die Gerichtsorganisation (§§ 22 ff. GVG), die Geschäftsverteilung innerhalb des Gerichts (§§ 21e ff. GVG) oder auch über die richterliche Unabhängigkeit (§ 1 GVG) und damit über Fragen, die für den Zivilprozess und den Strafprozess in gleicher Weise von Bedeutung sind. So gesehen ist das GVG eine Art Allgemeiner Teil von ZPO und StPOmit der Maßgabe, dass in diesem Allgemeinen Teil nur die für die Justiz wirklich grundlegenden Regeln enthalten sind
Wann ist das GVG in Kraft getreten und was lässt sich aus dem Zeitpunkt des Inkrafttretens für die Beantwortung der vorherigen Frage ableiten?
GVG, ZPO und StPO traten am selben Tag, dem 1. Oktober 1879, in Kraft. Das beweist, dass die drei Gesetze für den damaligen Gesetzgeber zusammengehörten und im GVG die für Zivilprozess und Strafprozess in gleicher Weise geltenden grundlegenden organisatorischen Fragen „abgearbeitet“ wurden. In ZPO und StPO sind sodann nur die für die konkrete Verfahrensart erforderlichen besonderen Regeln enthalten
Organisationsregeln, Qualifikationsregeln und Verfahrensmaximen
  • Organisationsregeln sind die Regeln über die Organisation der Gerichte und die Aufgabenverteilung unter den Gerichten und den sonstigen Organen der Gerichtsbarkeit, insbesondere auch innerhalb der Gerichte
  • Qualifikationsregeln sind die Regeln über die erforderliche Qualifikation der Rechtsprechungsorgane
  • Verfahrensmaximen oder Rechtsprechungsrechte sind die Prinzipien, die die Stellung der Gerichtsbarkeit zu den Verfahrensbeteiligten und der Allgemeinheit der Bürger charakterisieren.
Gerichtshoheit (Justizhoheit, deutsche Gerichtsbarkeit)
  • Deutsche Gerichtsbarkeit: das auf der staatlichen Macht beruhende Recht, grds. über alle auf dem Staatsgebiet befindlichen Personen die Gerichtsbarkeit auszuüben. Ausnahmen (§§ 18 ff. GVG):
    • Exterritorialität: aufgrund einer bestimmten Örtlichkeit (Botschaften, Schiffe sowie Staatsflugzeuge
    • Exemption: Personen wegen einer bestimmten Rechtsstellung (Diplomaten) – solange, wie sie in Deutschland leben. Weiterhin verlieren sie ihren Schutz, wenn sie im Zivilprozess selbst geklagt haben und der Beklagte Widerklage erhoben hat.
    • Immunität: Schutz eines Staates vor der Gerichtsbarkeit eines anderen Staates. Sie existiert aufgrund der Idee, dass alle Staaten gleichrangig sind und somit ein Staat nicht über einen anderen Staat richten dürfe.
Für welche Verfahren ist die sog. Ordentliche Gerichtsbarkeit zuständig?
Nach § 13 GVG für die Streitigkeiten des bürgerlichen Rechts, für Familiensachen und die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit und für die Strafsachen.
Abgrenzung der in § 13 GVG genannten „Bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten“ von den öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten i.S.d. § 40 I 1 VwGO
  • Interessentheorie: die dem öffentlichen Interesse dienenden Rechtssätze gehören dem öffentlichen Recht und die dem Individualinteresse dienenden Rechtssätze gehören dem Privatrecht an.
  • Subordinations- bzw. Subjektionstheorie: Rechtssätze, die das Verhalten von Hoheitsträgern regeln, dann öffentlich-rechtlich sind, wenn sie ein Über-/Unterordnungsverhältnis betreffen.
  • Subjektstheorie: entscheidend, ob der betreffende Rechtssatz für jedermann gilt (z.B. § 433 BGB; dann: Privatrecht) oder vielmehr ausschließlich ein Sonderrecht des Staates (oder sonstiger Träger öffentlicher Aufgaben, wie z.B. Gemeinden) begründet (dann: öffentliches Recht)
  • modifizierte Subjektstheorie: eine Rechtsnorm ist nur dann öffentlich-rechtlich, wenn sie einen Hoheitsträger als solchen, d.h. gerade in seiner Eigenschaft als Subjekt hoheitlicher Gewalt, berechtigt bzw. in der Rechtspraxis werden diese drei Abgrenzungstheorien ungeachtet dogmatischer Einwände nicht exklusiv, sondern vielmehr nebeneinander angewendet, um die Rechtsnatur einer Vorschrift zu ermitteln.
Ist eine Versetzung eines Richters tatsächlich nicht möglich?
  • Nur unter den Voraussetzungen des Art. 97 II GG, entspricht allerdings der praktischen Unmöglichkeit
  • Gleichwohl sprechen durchgreifende Argumente für die Beibehaltung der jetzigen Gerichtsorganisation. Der deutsche sog. „Rechtswegestaat“ ist im europäischen Vergleich von vorbildlicher Klarheit. Er erleichtert - wiederum im europäischen Vergleich - in vorbildlicher Weise den Zugang zum Gericht. Er hat, weil jahrzehntelang bewährt, einen Platz im Bewusstsein der Bürger
Internationale Zuständigkeit
Dürfen Deutschen Gerichte über einen Sachverhalt mit Auslandsbezug entscheiden
Brüssel Ia Verordnung
Darin geht es um „die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen“ (auch EuGVVO oder EuGVO)
Bei keiner ausdrücklichen Regelung der internationalen Zuständigkeit: Wann ist ein deutsches Gericht international zuständig?
Nun, jedenfalls dann, wenn es nach deutschem Recht örtlich zuständig ist
Bedeutet die Bejahung der internationalen Zuständigkeit eines deutschen Gerichts auch, dass deutsches Recht anwendbar ist?
Das gerade nicht. Diese Frage beurteilt sich nach dem sog. Internationalen Privatrecht
Was bedeuten „Rom I Verordnung “, „Rom II“ und „Rom III“?
  • Nun, ebenso wie es für die internationale Zuständigkeit die Brüssel - Verordnungen gibt, gibt es für die Frage, welches materielle Recht ein international zuständiges Recht anwenden muss, die Rom-Verordnungen:
    • Rom I: über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht
    • Rom II: über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht
    • Rom III: zur Durchführung einer verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts
    • Rom IV: über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (EuErbVO)
Was, wenn keine der Rom - Verordnungen anwendbar, also unklar ist, welches Recht - in der Sache - auf einen Sachverhalt mit Auslandsbezug anwendbar ist?
Dann gelten die im EGBGB (Art. 3 - 46e EGBGB) enthaltenen Vorschriften des deutschen internationalen Privatrechts. Aus ihnen ergibt sich, welches materielle Recht anwendbar ist.
Für welche Fälle ist jeweils das AG/LG/OLG in Zivilsachen sachlich zuständig? Was überhaupt ist unter sachlicher Zuständigkeit zu verstehen?
  • sachlichen Zuständigkeit = erstinstanzliche Zuständigkeit ist. Für die Beantwortung der Frage verweist § 1 ZPO auf das GVG.
  • In Zivilsachen ist das AG bis zu einer Streitwertgrenze von 5.000 € sachlich zuständig, § 23 Nr. 1 GVG, und ohne Rücksicht auf den Streitwert vor allem in Streitigkeiten über Wohnraummietverhältnisse und in den in § 23 Nr. 2b, Nr. 2c, Nr. 2d und Nr. 2g GVG genannten Fällen.
  • Die LG sind gem. § 71 Abs. 1 GVG sachlich zuständig für alle bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten, die nicht den AGs zugewiesen sind, und in den in § 71 Abs. 2 ff. GVG genannten Fällen.
  • Soweit sich die sachliche Zuständigkeit nach dem Wert des Streitgegenstandes beurteilt, sagen die §§ 2 ff. ZPO, wie dieser zu berechnen ist.
  • Die sachliche Zuständigkeit der OLG ist in § 118 (Musterverfahren nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz) und § 119 Abs. 3 (Muster- feststellungsverfahren nach dem 6. Buch der ZPO) GVG geregelt.
Was ist unter der örtlichen Zuständigkeit zu verstehen?
Vor welchem der vielen - sachlich zuständigen - LGs wird geklagt? Wo (bei welchem LG bzw. AG) hat der Beklagte seinen Gerichtsstand
Gerichtsstände
  • ausschließliche Gerichtsstände (solche, die im Gesetz ausdrücklich als ausschließliche bezeichnet werden): §§ 29a, 29c Abs. 1 S. 2, 24 ZPO
  • allgemeiner Gerichtsstand einer natürlichen Person: §§ 12, 13 ZPO
  • allgemeiner Gerichtsstand einer juristischen Person: §§ 12, 17 ZPO
  • besondere Gerichtsstände: §§ 29, 32, 33 ZPO
Wann ist die Zivilkammer, wann der Einzelrichter für die Bearbeitung einer eingehenden Sache zuständig?
  • § 348 Abs. 1 S. 1 ZPO (die Grundregel)
  • § 348 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 ZPO (eine leicht verständliche Ausnahme) meinetwegen auch
  • § 348 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 ZPO (eine etwas schwerer zu verstehende Ausnahme) und
  • § 348a Abs. 1. S. 1 ZPO (die Ausnahme von der Ausnahme = Rückkehr zur Grundregel)
Wer stellt den gerichtsinternen Geschäftsverteilungsplan auf?
Der Geschäftsverteilungsplan wird nach § 21e I 1 GVG von dem nach den §§ 21a - 21d GVG gewählten Präsidium beschlossen
Wie viele Richter hat das Bundesverfassungsgericht, wie wird man/frau Richter/Richterin des Bundesverfassungsgerichts und wie lange bleibt man/frau es?
Art. 94 GG und die §§ 2 - 12 BVerfGG: zwei Senate, jeweils acht Richter, längstens 12 Jahre, vom Bundestag und Bundesrat gewählt, Bundesrichter und andere Mitglieder
Über welche Verfahren entscheidet das Bundesverfassungsgericht?
  • Verfassungsbeschwerde  
  • Organstreitverfahren      
  • Bund-Länder-Streit          
  • Abstrakte Normenkontrolle
  • Konkrete Normenkontrolle        
  • Parteiverbotsverfahren
  • Wahlprüfungsbeschwerde
Verfassungsbeschwerde
Art. 93 I Nr. 4a und 4b GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 - 95a BVerfGG: ermöglicht insbesondere Bürgern, ihre grundrechtlich garantierten Freiheiten gegenüber dem Staat durchzusetzen, keine Erweiterung des fachgerichtlichen Instanzenzuges, sondern außerordentlicher Rechtsbehelf, in dem nur die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts geprüft wird
BVerfG: keine „Superrevisionsinstanz“
BVerfG untersucht im Verfassungsbeschwerdeverfahren nur, ob spezifisches Verfassungsrecht verletzt ist
Ist eine Verletzung von spezifischem Verfassungsrecht auch denkbar, wenn der BGH über einen Zivilrechtsstreit entschieden hat? Kann der BGH bei der Entscheidung in einem Zivilrechtsstreit Grundrechte berücksichtigen? Gelten die Grundrechte denn überhaupt in Rechtsbeziehungen zwischen Privaten?
Nun, zum einen kann der BGH selbst etwa die grundrechtsähnliche Rechte aus Art. 101 I 2 oder Art. 103 I GG verletzt haben und ob diese verletzt wurden, kann das BVerfG allemal überprüfen.  Zum anderen „gibt es“ seit dem sog. „Lüth Urteil“ die sog. „mittelbare Drittwirkung der Grundrechte“.
Die Verfassungsbeschwerde ist gemäß § 90 II BVerfGG erst nach der sog. „Erschöpfung des Rechtswegs“ zulässig. Was verstehen wir unter der Rechtswegerschöpfung?
wenn sämtliche gegen eine fachgerichtliche Entscheidung nicht offensichtlich unzulässigen Rechtsbehelfe ergriffen worden sind und keine Möglichkeiten mehr bestehen, der Beschwerde mit Hilfe der Fachgerichte abzuhelfen
Wann ist die Verfassungsbeschwerde anzunehmen?
  • wenn ihr grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt (§ 93a II Buchstabe a BVerfGG). Davon ist auszugehen, wenn mindestens drei der Richter eines Senats dieser Ansicht sind (§ 93d III 1 BVerfGG). Der Beschwerdeführer erhält keinen besonderen Bescheid über die Annahme. Der Senat entscheidet vielmehr über die Verfassungsbeschwerde selbst. Er gibt (oder gibt nicht) der Verfassungsbeschwerde statt.
  • wenn es zur Durchsetzung der in § 90 I BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist, was auch dann der Fall ist, wenn dem Beschwerdeführer durch die Versagung der Entscheidung zur Sache ein besonders schwerer Nachteil entsteht (§ 93a II Buchstabe b BVerfGG)
konkreten Normenkontrolle
Art. 93 I Nr. 5, Art. 100 I GG, §§ 13 Nr. 11, 80 ff. BVerfGG: nur BVerfG ist dafür zuständig, über die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen zu entscheiden: Hält ein Fachgericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so setzt es das Verfahren aus und holt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ein (Richtervorlage)
Welche Gerichte umfasst die Unionsgerichtsbarkeit? Gibt es noch ein Fachgericht?
Art. 19 I Unterabsatz 1 S. 1 EUV und: es gibt kein Fachgericht (mehr)
Wie viele Richter hat der Europäische Gerichtshof in Luxemburg (EuGH) und wie lange ist ihre Amtszeit? Wer ernennt sie und ist eine Wiederernennung möglich?
Art. 19 II EUV und Art. 253 AEUV
Was ist die Aufgabe der Generalanwälte?
Art. 19 II EUV und Art. 252 AEUV
Was ist Aufgabe des EuGH? Über welche Verfahren entscheidet er?
Art. 19 I Unterabsatz 1 Satz 2 und Art. 19 III EUV
Was ist unter einem Vorabentscheidungsverfahren zu verstehen?
Art. 267 AEUV
Mit welchem bundesverfassungsgerichtlichen Verfahren lässt sich das Vorabentscheidungsverfahren am ehesten vergleichen?
konkrete Normenkontrolle nach Art. 100 I GG
Unterstellt, ein deutscher Richter sei unsicher, ob ein deutsches Gesetz verfassungsgemäß ist. Er hält es für sinnvoll, das BVerfG mit der Frage zu befassen, obschon noch eine Beweisaufnahme aussteht und es je nach Ergebnis der Beweisaufnahme auch gar nicht auf die Verfassungsmäßigkeit der Norm ankommen könnte (Dies könnte etwa dann der Fall sein, wenn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme eine Klage abzuweisen ist, unabhängig davon, ob das in Frage stehende Gesetz verfassungsmäßig oder verfassungswidrig ist.). Ist seine Vorlage nach Art. 100 I GG zulässig?
Das ist sie nicht
Prüft der EuGH in einem Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV ebenso streng, „inwiefern von der Auslegung einer EU-rechtlichen Norm die Entscheidung des Gerichts abhängig ist“ und wenn nein, warum nicht.
Nun, eine Vorlage nach Art. 267 AEUV ist schon dann zulässig, wenn einem Gericht eine Frage über die Auslegung der Verträge usw. gestellt wird und dieses (vorlegende) Gericht „eine Entscheidung (des EuGH) darüber zum Erlass seines Urteils für erforderlich hält“. Schon vom Wortlaut her ist Art. 267 AEUV großzügiger als Art. 100 I GG i.V.m. § 80 IIBVerfGG. Die Großzügigkeit des EuGH ist aber nicht zuletzt in Folgendem begründet: Jedes zulässige Vorabentscheidungsverfahren gibt dem Gerichtshof die Möglichkeit, zu einer (bis jetzt ungeklärten Auslegungs-) Frage des EU-Rechts Stellung zu nehmen und damit der Auslegung des EU-Rechts seinen - verbindlichen - Stempel aufzudrücken.
Gibt es Gerichte, die Auslegungsfragen des EU-Rechts dem EuGH vorlegen müssen?
Aber ja! Nach Art. 267 III AEUV sind dies die Gerichte, deren Entscheidungen nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können
Und gegen welches grundrechtsähnliche Recht verstößt ein Gericht, das entgegen Art. 267 III AEUV nicht vorlegt?
Es kann, wenn es ohne jeden nachvollziehbaren Grund (willkürlich) handelt, gegen Art. 101 I 2 GG verstoßen
Vorrang des Unionsrechts
EU-Recht hat Anwendungsvorrang - auch vor deutschem Verfassungsrecht -, weil und soweit ihm der deutsche Gesetzgeber diesen Anwendungsvorrang nach Art. 23 I 2 GG - unter Beachtung des Art 79 III GG - eingeräumt hat.  Konkret bedeutet das, dass Gerichte, aber auch Verwaltungsbehörden (!), dem EU- Recht entgegenstehendes nationales Recht nicht anwenden dürfen
EGMR
  • Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ist ein auf Grundlage der EMRK (nicht des EUV!) eingerichteter Gerichtshof mit Sitz in Straßburg.
  • Der EMRK sind alle 47 Mitglieder des Europarats beigetreten. Daher unterstehen nahezu alle international anerkannten europäischen Staaten (außer dem Vatikanstaat und Weißrussland, aber einschließlich Russland, der Türkei und Zypern) der Jurisdiktion des EGMR.
  • Der EGMR überprüft Akte der Mitgliedsstaaten auf eine Verletzung der Konvention hin.
Wie viele Richter hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg (EGMR) und wie lange ist ihre Amtszeit? Wer wählt sie und ist eine Wiederwahl zulässig?
  • Jeder Unterzeichnerstaat der EMRK entsendet gemäß Art. 20 EMRK einen Richter in den EGMR. Dementsprechend gehören dem Gerichtshof derzeit 47 Richter an. Die Anforderungen an die Richter des EGMR bestimmen sich nach Art. 21 I EMRK. Die Richter werden von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates gewählt. Ist eine Richterstelle am Gerichtshof zu besetzen, hat der Konventionsstaat, dessen Richter ausscheidet, eine Liste mit drei Kandidaten vorzulegen. In aller Regel werden die in dieser Liste genannten Kandidaten von einem Ausschuss der Parlamentarischen Versammlung persönlich angehört. Anschließend erfolgt die Wahl, wobei zum Richter gewählt ist, wer die Mehrheit der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigt.
  • Die Amtszeit der Richter beträgt einheitlich neun Jahre ohne die Möglichkeit einer Wiederwahl (Art. 23 I EMRK).
  • Die Richter gehören dem Gerichtshof in ihrer persönlichen Eigenschaft an (Art. 21 II EMRK). Sie sind damit keine Vertreter der Staaten, die sie vorgeschlagen haben und ihnen gegenüber nicht weisungsgebunden.
Welches ist die Aufgabe des EGMR? Über welche Verfahren entscheidet er?
Der EGMR wacht über die Einhaltung der EMRK durch die Mitgliedsstaaten.

Er ist zuständig für die Entscheidung über Individualbeschwerden (Art. 34 EMRK) und Staatenbeschwerden (Art. 33 EMRK). Das Gutachterverfahren nach Art. 47 EMRK spielt nahezu keine Rolle. Das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 1 des 16. Zusatzprotokolls zur EMRK gilt noch nicht für die obersten Gerichts Deutschlands, weil Deutschland das Zusatzprotokoll - anders als Frankreich - noch nicht ratifiziert hat.

Was ist unter einer Individualbeschwerde (Art. 34 EMRK) zu verstehen?
In der Praxis stellt die Individualbeschwerde das bedeutendste Instrument des Menschenrechtsschutzes vor dem EGMR dar. Allen natürlichen Personen und nichtstaatlichen Organisationen sowie Personengruppen wird das Recht gewährt, den EGMR mit der Behauptung anzurufen, in einem Recht aus der Konvention verletzt zu sein.
Mit welchem innerdeutschen Verfahren ist die Individualbeschwerde noch am ehesten zu vergleichen?
Mit der Verfassungsbeschwerde
Welche Wirkungen hat ein - einer Individualbeschwerde stattgebendes - Urteil des EGMR?
  • Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat weder die Kompetenz, Rechtsnormen für nichtig zu erklären, noch die Möglichkeit, Urteile der nationalen Gerichte aufzuheben, durch die Rechte der Konvention verletzt werden. Er stellt lediglich eine Verletzung der Rechte aus der Konvention fest. Die Entscheidungen des EGMR haben jedoch bindende Wirkung ...
  • Soweit die Entscheidung des Gerichtshofs lediglich in die Zukunft weist, ist ihre Umsetzung regelmäßig unproblematisch. Die Konventionsverletzung ist zu beenden, eine Wiederholung ist zu unterlassen.
  • Schwierigkeiten ergeben sich dann, wenn die Konventionsverletzung einen abgeschlossenen Sachverhalt betrifft bzw. nicht allein durch zukünftige Änderungen abgestellt werden kann. Denn bei rechtskräftigen Gerichtsurteilen ist der Staat durch die Rechtskraft gebunden; das die Konventionsverletzung feststellende Urteil des EGMR durchbricht die Rechtskraft nicht.
Zweck der Gesetzesbindung
Die Gesetzesbindung sichert den Grundsatz der Gewaltenteilung
Rechtsgrundlagen der Gesetzesbindung
Die Rechtsgrundlagen der Gesetzesbindung finden sich in Art. 97 I GG, § 25 DRiG und § 1 GVG. Die genannten Vorschriften werden durch Art. 20 III GG ergänzt, der in Erinnerung ruft, dass Gesetz und Recht sich zwar regelmäßig - aber nicht immer - decken.
Auslegungsmethoden
  • Grammatikalische Auslegung: Wortauslegung nach dem natürlichen Wortsinn
  • Systematische Auslegung : Ermittlung des Inhalts eines Begriffs anhand des Zusammenhangs mit anderen Begriffen derselben oder verwandter Rechtsnormen (oft: „Erst-Recht-Schluss“)
  • Subjektiv-historische Auslegung: Wille des Gesetzgebers (insbesondere in amtlichen Begründungen des Gesetzgebungsverfahrens)
  • Objektiv-teleologische Auslegung: Sinn und Zweck einer Vorschrift (wichtigste Auslegungsmethode)
  • Grenzen der Auslegung    
    • Wortlaut: möglicher Wortsinn begrenzt jede Auslegung (innere Organe sind keine „wichtigen Glieder“)
    • Gebot restriktiver Auslegung: ist ein Verhalten nach dem Willen des Gesetzgebers nicht strafbar, wohl aber nach dem Gesetzeswortlaut, ist dieser einzuschränken
    • Präzisierung: bei weit gefassten Tatbeständen
    • erhöhter Vertrauensschutz: bei Änderung gefestigter Rspr.
Was ist unter einer Einzelanalogie = Gesetzesanalogie zu verstehen?
Besteht eine planwidrige Gesetzeslücke und gibt es eine Norm, die den Zweck hat, einen Sachverhalt zu regeln, der dem gesetzlich nicht geregelten Sachverhalt vergleichbar ist, kann diese Norm auf den gesetzlich nicht geregelten Sachverhalt angewandt, die Lücke also mit dieser Norm geschlossen werden
Was ist unter einer Gesamtanalogie = Rechtsanalogie zu verstehen?
Besteht eine planwidrige Gesetzeslücke und gibt es mehrere Normen, denen, wie sich an der Regelung mehrere Sachverhalte feststellen lässt, derselbe Rechtsgedanke zugrunde liegt, und ist der gesetzlich nicht geregelte Sachverhalt diesen Sachverhalten vergleichbar,

kann der Rechtsgedanke auf den gesetzlich nicht geregelten Sachverhalt angewandt, die Lücke also mit dessen Ausprägung, dessen Rechtsfolge, geschlossen werden

Wie weit geht der Schutzbereich der sachlichen Unabhängigkeit des Richters nach Auffassung des BGH?
Nur den sog. „Kernbereich richterlicher Unabhängigkeit“, dagegen nicht den Bereich der sog. „äußeren Ordnung“.
  • Kernbereich
    • die richterliche Entscheidung selbst
    • alle Maßnahmen des Richters während der Verhandlung wie die Art und Weise der Verhandlungsführung, der Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen, die Erhebung sonstiger Beweise und sitzungspolizeiliche Maßnahmen, die Hinzuziehung eines Protokollführers usw.
    • die Vorbereitung der Verhandlung/Entscheidung wie die Reihenfolge der Terminierung, die Terminierung selbst, Hinweise und Auflagen an die Parteien, Fristsetzungen, Übertragung auf den Einzelrichte
    • die der Entscheidung nachfolgenden Maßnahmen, wie etwa die Abfassung der Entscheidungsgründe, Nutzung von Spracherkennung usw., Berichtigung einer Entscheidung.
  • Zur „äußeren Ordnung“ gehören:
    • Amtstracht, Umgangsformen, Verzögerung der richterlichen Amtsgeschäfte, insbesondere Beachtung von Formen und Fristen der Entscheidungsverkündung, etwa der Frist zur Absetzung der Entscheidung
Was ist unter persönlicher Unabhängigkeit zu verstehen?
Art. 97 II GG garantiert den hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellten Richtern einen besonderen Schutz ihrer persönlichen Unabhängigkeit. Sie können gegen ihren Willen nur kraft richterlicher Entscheidung und nur aus Gründen und unter den Formen, welche die Gesetze bestimmen, vor Ablauf ihrer Amtszeit entlassen oder dauernd oder zeitweise ihres Amtes enthoben oder an eine andere Stelle oder in den Ruhestand versetzt werden (Art. 97 II 1 GG). Sie sind damit im Grundsatz für die Dauer ihrer Amtszeit unabsetzbar und unersetzbar.
Aus welchem Grund wird die persönliche Unabhängigkeit geschützt?
Der Schutz der persönlichen Unabhängigkeit in Art. 97 II GG stellt eine grundlegende rechtsstaatliche Anforderung an das Gerichtswesen dar. Die Vorschrift hat den Zweck, die sachliche Unabhängigkeit der Richter abzusichern, indem diese vor dienstrechtlichen Konsequenzen in Gestalt von Amtsenthebung, Entlassung, Versetzung oder Beurlaubung bewahrt werden, mit denen richterliche Entscheidungen sanktioniert werden könnten. Die sachliche Unabhängigkeit ist nur effektiv, wenn ein Richter nicht befürchten muss, dass seine Rechtsprechung negative Auswirkungen auf sein Amt haben wird
„Genießt“ jeder Richter die persönliche Unabhängigkeit? Auch ein (noch nicht zum Richter auf Lebenszeit ernannten) Richter auf Probe? Falls nein: Wie könnte man den Unterschied zur sachlichen Unabhängigkeit erklären?
Hauptamtlich angestellt sind Richter, die keine andere Haupttätigkeit als die des Richters ausüben ( ... ), also auch Richter auf Probe und Richter kraft Auftrags sowie abgeordnete Richter. Planmäßig angestellt sind Richter, die auf eine Planstelle bei einem bestimmten Gericht berufen sind. Als endgültig angestellt werden die auf Lebenszeit oder für eine bestimmte Amtsdauer ernannten Richter bezeichnet. Die Amtsdauer muss im Interesse der persönlichen Unabhängigkeit durch Parlamentsgesetz geregelt sein. Maßgeblich ist, dass eine Beendigung des Anstellungsverhältnisses nicht ohne weiteres möglich ist. Die Richter dürfen also nicht etwa „bis auf weiteres“ oder unter Widerrufsvorbehalt angestellt sein. Die Verbürgung des Art. 97 II GG greift demnach nicht für Richter auf Probe, Richter kraft Auftrags, abgeordnete Richter (soweit das Abordnungsverhältnis betroffen ist), Richter im Nebenamt und ehrenamtliche Richter
Erinnern Sie noch, welche Normen die richterliche Unabhängigkeit institutionell (als Ausprägung des Gewaltenteilungsprinzips) sichern?
Nach Art. 20 II GG wird die vom Volk ausgehende Staatsgewalt auch „durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt“, die nach Art. 20 III GG nur „an Gesetz und Recht“ und insbesondere nicht an den Willen

der vollziehenden Gewalt gebunden sind

Was könnte für eine Selbstverwaltung der Justiz sprechen?
Die Dritte Gewalt muss sich wie Legislative und Exekutive in ihren Organisationsbereichen selbst verwalten können. Das beinhaltet, dass sie das Recht erhält, ihren Haushalt unmittelbar beim Parlament einzuwerben. Im verfassungsrechtlich zulässigen Rahmen muss die Justiz ihre Personalentscheidungen selbst treffen können. Eine Rechenschaftspflicht darf nur gegenüber dem Parlament bestehen. Das Grundgesetz steht der Einführung einer Selbstverwaltung der Justiz nicht entgegen. Danach werden die Justizministerien „entlastet“. Sie sollen nur noch für die Erarbeitung von Gesetzen, die Juristenausbildung, die Notaraufsicht, die Strafvollstreckung und die Gnadensachen zuständig sein. An die Stelle der Justizministerien soll ein sog. Justizverwaltungsrat treten,

der für Personalentscheidungen, Haushalt, Verwaltungsaufbau und IT zuständig ist. Er steht unter der Dienstaufsicht des Landtagspräsidenten. Gewählt wird dieser Justizverwaltungsrat durch einen mehrheitlich von Parlamentariern

Was könnte gegen eine Selbstverwaltung der Justiz sprechen?
Bei allem Reformbedarf: Die deutsche Justiz ist nicht so schlecht, wie sie von dem Richterbund dargestellt wird. Ein Minister, der nicht nur Justizminister ist, sondern an der Spitze eines Ministeriums für Justiz, Arbeit, Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz steht, hat am Kabinettstisch ein ungleich größeres Gewicht und kann eher den Rahmen schaffen - in dem die Justiz ihren Gang - in Unabhängigkeit - geht. man sollte die jetzige Verwaltung der Justiz nicht bekämpfen, sondern verbessern - es gibt genug zu tun.
Aber liegt in der fehlenden Selbstverwaltung der Justiz denn nicht doch ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung?
Das ist Unsinn. Ausgangspunkt für die Beantwortung der Frage kann nämlich nicht ein quasi überpositives Konzept strikter Gewaltentrennung sein, sondern allenfalls eine Gewaltenteilung, die den grundgesetzlichen Anforderungen entspricht. Und dass die heutige Form der Gerichtsverwaltung dem Grundgesetz widerspreche, ist nicht begründbar.
Was ist unter richterlicher Neutralität zu verstehen?
Wir haben oben gesehen, dass die richterliche Unabhängigkeit den Richter vor Einflussnahmen von außen schützt. Die Regeln über die richterliche Neutralität wollen verhindern, dass innere Einflüsse die Entscheidung beeinflussen. Deshalb ist der Richter, der entweder selbst Partei ist oder einer Partei nahesteht, - weil parteilich - kraft Gesetzes von der Bearbeitung eines Rechtsstreits ausgeschlossen (§ 41 ZPO, vgl. auch § 42 I 1. Fall ZPO). Und - wegen Befangenheit - abgelehnt werden kann er, wenn sonstige Gründe vorliegen, die geeignet sind, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen (§ 42 I 2. Fall, II ZPO)
Und was verstehen wir unter der Unparteilichkeit?
§ 41 und § 42 I ZPO
Welche Rechtsfolgen zieht die fehlende Unparteilichkeit nach sich?
Nun, wie gesagt, dass er kraft Gesetzes von der Bearbeitung des Rechtsstreits

ausgeschlossen ist.

Kann ein Richter, obschon kraft Gesetzes wegen fehlender Unparteilichkeit ausgeschlossen, aus demselben Grund auch abgelehnt werden?
Ja, das ergibt sich, wie gesagt, aus § 42 I 1. Fall ZPO
Was ist unter der Unbefangenheit zu verstehen?
§ 42 I, II ZPO
Welche Rechtsfolgen zieht die Besorgnis der Befangenheit nach sich?
Dass der betreffende Richter bis zu dem in § 43 ZPO genannten Zeitpunkt abgelehnt werden kann, woraufhin in der Regel ein anderer, durch den Geschäftsverteilungsplan bestimmter Richter über das Ablehnungsgesuch entscheidet (zum Verfahren lesen Sie §§ 44, 45 ZPO). Wollte man die Entscheidung dem „normalen“ Vertreter zuweisen, würden Befangenheitsanträge wohl in der Regel zurückgewiesen - weil der „normale“ Vertreter, gibt er dem Antrag statt, als Vertreter die Arbeit des abgelehnten Richters übernehmen müsste
Was kann man daraus ableiten, dass § 42 Abs. 1 ZPO nicht von der Befangenheit

des Richters spricht, sondern von der Besorgnis, dass der Richter befangen sei?

Dass es nicht darauf ankommt, ob der Richter tatsächlich befangen ist, sondern darauf, ob ein Grund besteht, der aus Sicht einer ruhig und vernünftig denkenden Partei in der Person des Ablehnenden berechtigten Anlass gibt, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln.
Bis zu welchem Zeitpunkt kann eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit erfolgen?
§ 43 ZPO! Wenn Sie also jemals einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnen wollen, tun Sie es rechtzeitig!
Unterstellt, der Zivilrichter weise (nach § 139 II 1 ZPO) auf einen rechtlichen Gesichtspunkt hin, den eine Partei erkennbar übersehen habe, nämlich darauf,

dass die Klageforderung längst verjährt ist. Begründet dieser - prozessentscheidende - Hinweis die Besorgnis der Befangenheit?

Nach der Rspr. des BGH: Ja, weil auf den Hinweis an den Beklagten so sicher wie das Amen in der Kirche die Klageabweisung, also der Prozessverlust für den Kläger, folgt. Gibt das Gericht diesen Hinweis, muss der Prozessbevollmächtigte des Beklagten, will er sich nicht schadensersatzpflichtig machen, die Einrede der Verjährung erheben. Das alles nützt dem Kläger aber nichts. Folge ist, dass der Richter abgelehnt wird, ein anderer Richter das Befangenheitsgesuch für begründet erklärt - und die Klage trotzdem abweist, weil die Einrede der Verjährung ja nun einmal erhoben wurde.
Welche vier Arten von Berufsrichtern kennt das Deutsche Richtergesetz?
§ 8 DRiG: auf Lebenszeit, auf Zeit, auf Probe oder kraft Auftrags
Was unterscheidet den Richter auf Probe von dem Richter auf Lebenszeit?
Dass der Richter auf Probe noch nicht persönlich unabhängig i.S.v. Art. 97 II GG ist. §§ 12, 13 und 29 DRiG.
Wie viele Richter auf Zeit gibt es in Deutschland?
  • Vor ein paar Jahren hätte ich noch gesagt: Es kann nur 16 geben, und zwar die 16 Richterinnen und Richter des BVerfG.
  • Heute ist aufgrund des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes vom 20. Oktober 2015 möglich, dass Beamte auf Lebenszeit, die die Befähigung zum Richteramt haben, für die Dauer von mindestens zwei Jahren zu Richtern auf Zeit ernannt werden, um einen vorübergehenden Personalbedarf der Justiz zu decken - und danach zu ihrer Stammbehörde zurückkehren.
Was ist ein Richter kraft Auftrags?
Das ist ein Beamter auf Lebenszeit oder auf Zeit, der mit dem Ziel einer späteren Ernennung zum Richter auf Lebenszeit bereits richterliche Tätigkeit ausübt: ein „Richter auf Probe plus“, der schon so viel Erfahrungen, meist auf dem Gebiet seiner richterlichen Tätigkeit (etwa dem Steuerrecht), gesammelt hat, dass es gerechtfertigt ist, ihn nicht erst nach 5 Jahren (vgl. § 12 DRiG), sondern schon nach spätestens 2 Jahren (vgl. § 16 DRiG) zum Richter auf Lebenszeit zu ernennen. §§ 14, 15, 16 und 29 DRiG.
Unter welchen Voraussetzungen darf ein junger Jurist/eine junge Juristin in das Richterverhältnis berufen werden?
§ 9 DRiG
  • Deutscher im Sinne des Artikels 116 des Grundgesetzes ist,
  • die Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt,
  • die Befähigung zum Richteramt besitzt (§§ 5 bis 7) und
  • über die erforderliche soziale Kompetenz verfügt
Wann besitzt ein junger Assessor (oder ein alter Professor) die Befähigung zum Richteramt?
§§ 5 bis 7 DRiG
Stellen Sie sich vor, Sie wollten den Beruf des Rechtsanwalts/der Rechtsanwältin ergreifen - würden Sie akzeptieren, dass Voraussetzung dafür die Befähigung zum Richteramt (und nicht die Befähigung zum Anwaltsberuf) ist; würden Sie dies umgekehrt sogar wollen?
Nach meiner Wahrnehmung wollen die Rechtsanwälte das, weil damit

deutlich gemacht wird, dass sie die gleiche Qualifikation wie das Gericht besitzen.

Steht die Einstellung eines Richters im Ermessen, gar im alleinigen Ermessen des Justizministeriums?
§§ 38 I Nr. 1, III, 39 I SaarRiG
Wodurch wird das Richterverhältnis begründet?
§ 17 DRiG
Was ist unter der sog. „Mäßigungspflicht“ zu verstehen?
§ 39 DRiG
Was ist ein „Organ der Rechtspflege?“
Als unabhängiges Organ der Rechtspflege hat der Rechtsanwalt zahlreiche Aufgaben zu erfüllen, die der Sicherung einer geordneten Rechtspflege zum Zweck der effektiven Verwirklichung des Rechtsstaatsprinzips dienen. Gerade auch im außergerichtlichen Bereich kommt dieser Funktion besondere Bedeutung zu, weil der Rechtsanwalt dort das zentrale zur Pflege des Rechts berufene Organ ist.“ Es folgen Ausführungen zu Beratungsfunktion, Entlastungsfunktion, Äußerungsfunktion, Funktion der Verfahrenskontrolle, Rechtsschutzfunktion usw. im Interesse der objektiven Rechtsordnung.
Ist es denkbar, dass sich aus § 1 BRAO ergebende Verpflichtungen des Rechtsanwalts gegenüber der Rechtspflege in Konflikt zur Wahrung der Mandanteninteressen nach § 3 BRAO treten?
  • Das ist, zumindest bei erstem Zusehen, durchaus denkbar. Denn man könnte § 1 BRAO dahin verstehen, dass der Rechtsanwalt - als Werkzeug (nichts Anderes bedeutet „Organ“) der Justiz - für den guten Gang der Justiz mitverantwortlich sei.
  • Wäre er aber „in amtsähnlicher Stellung“ „staatlich gebunden“, wäre er nicht in der Lage, erst recht nicht als Verteidiger, die Interessen seines Mandanten zu wahren. Denn er müsste stets bedacht sein, die staatlichen Bindungen nicht zu verletzen
Zusammenhang zwischen dem Ziel der Zurückdrängung der Selbsthilfe und dem Justizgewährungsanspruch Art. 19 IV GG
Justizgewährleistungsanspruch kompensiert, dass der Staat das Gewaltmonopol innehat, die Bürger auf Selbsthilfe verzichten und der Friedenspflicht unterliegen. Die Bürger lassen sich nur deshalb auf Verzicht ein, weil Staat ihnen effektiven Rechtsschutz gewährt
Warum fällt rechtsprechende Tätigkeit der Gerichte nicht unter Art. 19 IV GG
  • Art. 19 IV GG gewährt Schutz durch den Richter, nicht gegen den Richter
  • Es käme zu einer „unendlichen Rechtsweggarantie“: jede verfahrensabschließende, rechtskräftige Entscheidung könnte erneut überprüft werden
Inhalt von Art. 19 IV GG und des Justizgewährungsanspruchs
  • Anspruch auf Durchführung eines Hauptsacheverfahrens
  • (soweit erforderlich) Anspruch auf vorläufigen Rechtsschutz
  • Anspruch auf Vollstreckung einer gerichtlichen Entscheidung
  • (Anspruch auf effektiven, fairen und waffengleichen Rechtsschutz)
Vorschriften des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz
  • Art. 20 III GG: Rechtsstaatsprinzip
  • Art. 19 IV GG: Allgemeiner Justizgewährleistungsanspruch
  • Art. 6 EMRK
  • Art. 47 GRCh
Inhalt des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz
im Vordergrund: Verfahren sollen in einem überschaubaren Zeitraum entschieden werden
Vorwurf des EGMR zu dem Thema effektiver Rechtsschutz an Deutschland
  • überlange Dauer von Gerichtsverfahren
  • Fehlen eines wirksamen innerstaatlichen Rechtsbehelfs (wie in Art. 13 EMRK zur Vermeidung überlanger Gerichtsverfahren)
Was sieht das auf diesen Vorwurf hin verabschiedete Gesetz zum Rechtsschutz bei überlangen Verfahren zwischenzeitlich vor?
Die Entschädigungslösung der §§ 198 ff. GVG
Verstoß gegen Zuständigkeitsordnung zugleich Verletzung des Art. 101 I 2 GG?
  • AG sachlich unzuständig = Hinweis gem. § 504 ZPO
    • Lässt sich Beklagter dennoch auf Rechtsstreit ein, wird – sofern keine ausschließliche Zuständigkeit des LG – Zuständigkeit des AG nach §§ 495, 39 ZPO begründet
    • Rügt Beklagter dagegen Zuständigkeit des AG, kommt es darauf an, ob Kläger einen Verweisungsantrag stellt
    • Tut er das, verweist das AG den Rechtsstreit nach § 281 I 1 ZPO an das zuständige LG. Dieses ist nach § 281 II 4 ZPO an Verweisungsbeschluss gebunden
    • Stellt Kläger keinen Verweisungsantrag, weist das Gericht (wahrscheinlich nach erneutem Hinweis, § 139 III ZPO) die Klage ab
  • Bei der örtlichen Zuständigkeit geht es um die Frage, welches von mehreren sachlich zuständigen Gerichten (örtlich) zuständig ist. Ist ein AG örtlich unzuständig = Hinweis gem. § 504 ZPO
    • Lässt sich Beklagter dennoch auf den Rechtsstreit ein, wird – sofern keine ausschließliche Zuständigkeit eines anderen AG besteht – Zuständigkeit des AG nach §§ 495, 39 ZPO begründet
    • Rügt Beklagter dagegen die Zuständigkeit des AG, kommt es darauf an, ob Kläger einen Verweisungsantrag stellt
    • Tut er das, verweist das AG den Rechtsstreit nach § 281 I 1 ZPO an das zuständige andere AG. Dieses ist nach § 281 II 4 ZPO an Verweisungsbeschluss gebunden
    • Stellt Kläger keinen Verweisungsantrag, weist das Gericht (wahrscheinlich nach erneutem Hinweis, § 139 III ZPO) die Klage ab
  • In beiden Fällen gelten also die §§ 39 und 504 ZPO. Lässt sich der Beklagte nicht rügelos ein und stellt auch der Kläger keinen Verweisungsantrag nach § 281 ZPO, weist das Gericht die Klage (weil unzulässig) ab. Das sollte es zumindest: Entscheidet das Gericht (zu Unrecht) trotzdem, begründet das weder die Berufung (§ 513 II ZPO) noch die Revision (§ 545 II ZPO)
  • Obwohl wir eine hochkomplexe Zuständigkeitsordnung haben, führt (zum Glück) nicht jeder Verstoß zur Anfechtbarkeit, gar Verfassungswidrigkeit der auf dem Verstoß beruhenden Entscheidung. Man könnte auch sagen: GVG und ZPO verzeihen formelle Fehler
Geschäftsverteilungsplan
  • Vollständigkeitsprinzip: Alle Sachen müssen unter allen Richtern verteilt werden, Art. 101 I 2, Art. 97 II GG
  • Abstraktionsprinzip: Die Sachen müssen nach allgemeinen, abstrakten Merkmalen wie etwa dem Sachgebiet, der alphabetischen Einordnung des Beklagtennamens (nicht: des Klägernamens, weil durch Abtretung nach § 398 BGB manipulierbar), dem Zeitpunkt des Eingangs bei Gericht usw. verteilt werden, Art. 101 I 2 GG
  • Bestimmtheitsgrundsatz: Die Regelungen des Geschäftsverteilungsplans müssen klar und eindeutig sein, Art. 101 I 2 GG
  • Vorauswirkungsprinzip: Der Geschäftsverteilungsplan muss am Ende des Jahres für das kommende Geschäftsjahr (im Voraus) beschlossen werden, § 21e I 2 GVG
  • Jährlichkeitsprinzip: Der Geschäftsverteilungsplan beansprucht grundsätzlich für das ganze Jahr Geltung, § 21e I 2 GVG
  • Stetigkeitsprinzip: Der Geschäftsverteilungsplan ist in seinem Geltungszeitraum, dem Geschäftsjahr, grundsätzlich unabänderlich, § 21e III 1 GVG
Eingriff bei Aufstellung oder Anwendung des Geschäftsverteilungsplans
  • Keine gesetzliche Regelung, der Geschäftsverteilungsplan sei ein „gerichtsinterner Organisationsakt sui generis“, am besten gar nicht und wenn, nur unter besonderen Voraussetzungen anfechtbar
  • Heute: Geschäftsverteilungsplan darf keine Regelung vorsehen, die einen Richter von der Rechtsprechung eines Gerichts ausschließt (Eingriff in Unabhängigkeit der Richter, Art. 97 II GG)
Art. 103 I GG: Anspruch auf rechtliches Gehör
Im Zivilprozess: Partei hat Anspruch darauf,
  • Sicht der Dinge in tatsächlicher/rechtlicher Hinsicht darzustellen,
  • Anträge (insbesondere Beweisanträge) zu stellen,
    • dass entscheidungserhebliche Beweise erhoben werden,
    • dass das Gericht sie darauf aufmerksam macht, wenn ihr Sachvortrag nicht schlüssig bzw. ihr Bestreiten nicht erheblich ist, wenn Beweisanträge fehlen oder wenn die gestellten Anträge nicht sachdienlich sind (vgl. § 139 I 2 ZPO)
    • dass das Gericht ihren Sachvortrag in Gänze zur Kenntnis nimmt und – sich mit ihm vor einer Entscheidung, insbesondere vor einer der Partei nachteiligen Entscheidung – auch auseinandersetzt
    • dass sie Gelegenheit zur Stellungnahme erhält
      • zu gegnerischem Sachvortrag
      • zu gegnerischen Beweisanträgen
      • zu gegnerischen Rechtsansichten
      • zum Ergebnis einer Beweisaufnahme
Wer ist Inhaber des Anspruchs?
  • Parteien und Drittbeteiligte des Prozesses
  • materiell betroffene Dritte (das Kind im Eheaufhebungsverfahren zwischen den Eheleuten)
  • Staat als Prozessbeteiligter
In welcher Form wird einer Partei Gelegenheit zu rechtlichem Gehör gegeben?
  • i.d.R. schriftlich, im Zivilprozess meist durch Hinweise nach § 139 I 2 ZPO oder
  • terminsvorbereitend nach § 273 II Nr. 1 ZPO oder durch Hinweise nach § 139 II, III ZPO
§ 308 I ZPO: Dispositionsmaxime als zivilprozessualer Verfahrensgrundsatz
  • Parteien verfügen entsprechend der Verfügungsbefugnis über private Rechte (Privatautonomie) – in der Regel auch frei über den Gegenstand eines bürgerlichen Rechtsstreits
  • Kläger bestimmt mit Klage, ob es überhaupt zum Prozess kommt und durch Klageantrag und Klagebegründung (§ 253 II ZPO), mit welchem Streitgegenstand der Prozess geführt wird
  • Gericht ist an Klageantrag gebunden, darf also weder mehr noch etwas Anderes zusprechen (§ 308 I ZPO)
  • Der Kläger kann
    • auf den geltend gemachten Anspruch verzichten mit der Folge, dass nach § 306 ZPO auf Antrag des Beklagten ein Verzichtsurteil ergeht
    • Klage nach § 269 ZPO zurücknehmen – bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung auch ohne Zustimmung des Beklagten
    • im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erscheinen – dann meist Versäumnisurteil nach § 330 ZPO
  • Kläger und Beklagter können
    • den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklären (§ 91a ZPO)
    • versuchen, den Konflikt auf Vorschlag des Gerichts mit Hilfe eines Mediators zu lösen (§ 278a ZPO)
    • einen Prozessvergleich schließen (§ 779 BGB, § 794 I Nr. 1 ZPO)
  • Der Beklagte kann
    • seine Verteidigungsabsicht nicht anzeigen, dann §§ 276 I 2, 331 III, 91, 708 Nr. 2 ZPO) oder
    • zwar anzeigen, aber der mündlichen Verhandlung fernbleiben, dann §§ 331 I und II, 91, 708 ZPO) oder
    • den geltend gemachten Antrag anerkennen mit der Folge, dass nach § 307 ZPO auch ohne Antrag ein ggf. schriftliches Anerkenntnisurteil gegen ihn ergeht
    • Der Zivilprozess kennt nur wenige Ausnahmen von der Geltung der Dispositionsmaxime
    • über Kosten und vorläufige Vollstreckbarkeit entscheidet das Gericht auch ohne Antrag der Parteien (§§ 308 II, 708, 709 ZPO)
Beibringungsgrundsatz
  • Zivilgericht darf Tatsachengrundlage für Entscheidung nicht selbst ermitteln, sondern seine Entscheidung nur auf die Tatsachen stützen, die ihm die Parteien beigebracht haben
  • Tatsächliche Behauptungen einer Partei, die vom Gegner zugestanden (§ 288 ZPO) oder nicht bestritten (§ 138 III ZPO) wurden, sind ohne weitere Nachprüfung dem Urteil zugrunde zu legen
  • Beweis darf das Gericht nur über streitige entscheidungserhebliche Tatsachen erheben (§ 359 Nr. 1 ZPO).
  • Zeugen dürfen nur auf Antrag der beweisbelasteten Partei geladen werden (§ 373 ZPO, aber: §§ 142, 144, 448 ZPO)
  • Der Beibringungsgrundsatz gilt nicht für Beweiswürdigung und Rechtsanwendung
  • Vor allzu strenger Anwendung des Beibringungsgrundsatzes (und der Dispositionsmaxime) schützt § 139 ZPO (Materielle Prozessleitung)
Darf Richter auf fehlenden Tatsachenvortrag aufmerksam machen?
Richter macht sich durch Hinweis nicht befangen. Er muss (!) sogar gem. § 139 I 2 ZPO darauf hinweisen, wenn er Klage für unschlüssig erachtet, etwa weil er Vortrag für unsubstantiiert hält. Reagiert Kläger hierauf durch zusätzlichen Vortrag, kann die Klage nicht mehr als unschlüssig abgewiesen werden. Fehlt der richterliche Hinweis, so kann der Kläger sogar in der Berufungsinstanz wegen eines Verfahrensfehlers ­– unzureichende Hinweise nach § 139 1 2 ZPO – umfassend weitere Tatsachen vortragen. Die Bindung des Berufungsgerichts an die tatsächlichen Feststellungen in erster Instanz (§ 529 I Nr. 1 ZPO) greift wegen § 531 II 1 Nr. 2 ZPO nicht
Wozu verpflichtet das Legalitätsprinzip die Staatsanwaltschaft?
Verpflichtung der Strafverfolgungsbehörden, ein Ermittlungsverfahren zu eröffnen, wenn ein den Anfangsverdacht rechtfertigende zureichende Kenntnis von einer (möglichen) Straftat erlangt hat (§ 152 II StPO)
Staatsanwaltschaft: Voraussetzung zur Einleitung von Ermittlungen
  • Anfangsverdacht gem. § 152 II StPO: „sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen“, die nach der kriminalistischen Erfahrung die Beteiligung eines Betroffenen an einer verfolgbaren strafbaren Handlung als möglich erscheinen lassen
  • Ermittlungen nicht auf Verdacht, sondern nur bei Verdacht ein
  • Anfangsverdacht reicht auch für eine Durchsuchung beim Verdächtigen nach § 102 StPO (zur Anordnung vgl. § 105 StPO)
Staatsanwaltschaft: Voraussetzung für Anklage
  • §§ 170 Abs. 1 i.V.m. § 203 StPO: hinreichender Tatverdacht
  • Wahrscheinlichkeit, dass Beschuldigter eine Straftat begangen hat und verurteilt wird
Staatsanwaltschaft: Voraussetzung für Haftbefehl
  • § 112 I 1 StPO: dringender Tatverdacht
  • wenn nach aktuellem Stand der Ermittlungen hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Beschuldigte Täter oder Teilnehmer einer strafbaren Handlung ist
Wenn Staatsanwaltschaft trotz hinreichenden Tatverdachts Antrag auf Erhebung der öffentlichen Klage keine Folge gibt (oder trotz zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte nicht einmal Ermittlungen einleitet)?
  • Verletzter hat Möglichkeit, ein Klageerzwingungsverfahren (§§ 171, 172 StPO) zu betreiben
  • Nicht-Verletztem bleibt zumindest Möglichkeit der Dienstaufsichtsbeschwerde
Opportunitätsprinzip (Einstellung des Ermittlungsverfahrens, Einschränkung des Legalitätsprinzips)
  • § 153 I StPO: Einstellung durch Staatsanwaltschaft ohne Auflage (Geringfügigkeit)
  • § 153 II StPO: Einstellung durch Gericht ohne Auflage (Geringfügigkeit)
  • § 153a I StPO: Einstellung durch Staatsanwaltschaft gegen Auflagen und Weisungen
  • § 153a II StPO: Einstellung durch Gericht gegen Auflagen und Weisungen
Was bezweckt der Gesetzgeber mit § 153a StPO?
Einstellung gestattet, bei Vergehen ein bestehendes öffentliches Interesse der Strafverfolgung durch Erfüllung von Auflagen und Weisungen in Wegfall kommen zu lassen. Erfüllt der Beschuldigte die Auflagen und Weisungen, kann die Tat nicht mehr als Vergehen verfolgt werden. Der Beschuldigte ist in diesem Falle nicht vorbestraft. Es wird also verhindert, dass die Deutschen „ein Volk von Vorbestraften“ werden. Insbesondere aber ermöglicht die Einstellung der Staatsanwaltschaft, in Fällen leichter und mittlerer Kriminalität einzustellen und sich mit ganzer Kraft den Fällen schwerer und schwerster Kriminalität zu widmen
Ermittlungsgrundsatz
Unter dem Ermittlungsgrundsatz versteht man die Pflicht der Strafverfolgungsorgane, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen und aufzuklären.
  • Staatsanwaltschaft: § 160 I-III StPO
  • Polizei: § 163 StPO (Recht und Pflicht des ersten Zugriffs) und § 152 I, II GVG
  • Gericht: §§ 155 I und II, 244 II StPO

Nur so kann die materielle Wahrheit, also der Sachverhalt, der sich tatsächlich ereignet hat, herausgearbeitet und zur Grundlage der gerichtlichen Entscheidung gemacht werden. Grundlage der zivilgerichtlichen Entscheidung ist dagegen der von den Parteien vorgetragene Sachverhalt, die sog. formelle Wahrheit (der Parteien).

Beweiserhebungsverbot
So sehr die Strafverfolgungsorgane versuchen müssen, der materiellen Wahrheit auf die Spur zu kommen – sie dürfen dies nicht mit allen Mitteln versuchen. Das zeigt anschaulich § 136a StPO. Daneben gibt es weitere Beweiserhebungsverbote
Führt jeder Verstoß gegen Beweisermittlungsverbot zu Beweisverwertungsverbot?
Das ist nicht der Fall, trotz § 136a III 2 StPO
Nulla poena sine lege
  • Art. 103 Abs. 2 GG: Tat kann nur bestraft werden, wenn Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde
  • § 1 StGB: Keine Strafe ohne Gesetz
  • Art. 7 EMRK: Keine Strafe ohne Gesetz
Gestattet dieser Grundsatz, nach Begehung einer Straftat eine schwerere Strafe, etwa die Todesstrafe, für eine Straftat einzuführen und Straftäter zum Tode zu verurteilen?
Nein, der Grundsatz verbietet eine derartige Rückwirkung
Lässt sich aus dem Grundsatz nulla poena sine lege ein generelles Analogieverbot im Strafrecht herleiten?
Nein, nur ein Analogieverbot zu Lasten des Angeklagten
Unschuldsvermutung
  • Art. 6 EMRK – Recht auf ein faires Verfahren: Jede Person, die einer Straftat angeklagt ist, gilt bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig
    • soll verhindern, dass Öffentlichkeit vorzeitig von der Schuld eines Angeklagten ausgeht. Sie wirkt damit auf die Informationspolitik des Staates ein, der dafür sorgen muss, dass insbesondere Polizei und Anklagebehörden ihre Presse- und Informationspolitik so gestalten, dass Vorverurteilung in der Öffentlichkeit stattfindet
    • soll zum anderen auch verhindern, dass die eigentliche gerichtliche Beweiswürdigung öffentlich vorweggenommen wird und das Gericht den Sachhergang nicht mehr unvoreingenommen prüfen kann
    • Aus dem Prinzip der Unschuldsvermutung folgt, dass die Beweislast grundsätzlich bei der Anklage liegt und im Zweifel sich stets zugunsten des Angeklagten auszuwirken haben. Es ist Sache der Anklage, die Beweise für die Schuld des Angeklagten zu liefern und nicht Sache des Angeklagten, Beweise für die eigene Unschuld zu liefern
    • die Unaufklärbarkeit des Sachverhalts geht zu Lasten des Staates mit der weiteren Folge, dass „in dubio pro“ freizusprechen ist
Kann dieselbe Beweisaufnahme dazu führen, dass Angeklagter im Strafprozess freigesprochen und im Zivilprozess auf Schadensersatz verurteilt wird (O. J. Simpson)?
Unterschiedliche Ergebnisse in Straf- und Zivilprozess können auf die unterschiedliche Beweislast zurückzuführen sein. So hätte der Satz „in dubio pro“ dann doch eine Bedeutung, und zwar diejenige, dass er auf diesen Sachverhalt aufmerksam macht.

Beispiel: Auch nach umfangreichster Beweisaufnahme in Straf- und Zivilprozess lässt sich nicht klären, ob der Angeklagte aus Notwehr gehandelt hat. Dann wird er im Strafprozess freigesprochen (im Zweifel ist zugunsten des Angeklagten von einer Notwehrlage auszugehen), im Zivilprozess dagegen verurteilt, weil insoweit er die Beweislast

für das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen einer Notwehrlage trägt